Overground Resistance

Eine Ausstellung kuratiert von Oliver Ressler

“Overground Resistance”, frei_raum Q21 exhibition space, Vienna (AT), 26/08 – 21/11/2021
“Flood Tide of Resistance”, NeMe Arts Centre, Limassol (CY), 07/10 – 04/11/2022
“Overground Resistance. Resistencias a la luz del sol”, CAC Centro de Arte Contemporáneo de Quito, Quito (EC), 23/11/2022 – 26/02/2023

Wetterextreme sind die neue Normalität rund um den Globus. Brennende Wälder in Brasilien und Sibirien, tauende Permafrostböden, das Abschmelzen von Polareis und Gletschern, Dürren in ehemals fruchtbaren Regionen, das massenhafte Aussterben von Arten. Während die Auswirkungen des Zusammenbruchs des Klimas allerorts sichtbar werden, handelt staatliche Politik nicht entsprechend der Dringlichkeit der Klimakrise. Am liebsten handelt sie gar nicht. Falls sie doch mal dazu gezwungen wird, agiert sie am ehesten symbolisch. So wird an einem Tag der Klimanotstand ausgerufen, während am nächsten Tag fossile Energieträger gefördert, Autobahnen, Flughäfen und Gaspipelines gebaut, und Flächen großräumig versiegelt werden.

“Overground Resistance”, frei_raum Q21 exhibition space, Vienna, 2021. Photo: Pablo Chiereghin

Dieses zynische Spektakel trägt nicht zum Überleben des Planeten bei. Gefragt wäre stattdessen die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, die Änderung der Art und Weise, wie Verkehr, Nahrungsproduktion, Wohnen und Arbeiten organisiert werden, die radikale Besteuerung klimaschädlicher Fortbewegungsmittel und von Ressourcen-verbrauchender Produktion. Der gesellschaftliche Fokus muss von Wachstum und Profit hin zu Ressourcenschonung, Erhaltung der Lebensgrundlagen, Klimagerechtigkeit und globale Umverteilung verschoben werden.

Zentrale Akteur_innen, die den gesellschaftlich notwendigen Wandel voranzutreiben versuchen, sind die weltweiten Klimagerechtigkeitsbewegungen. 25 Jahre der Klimaverhandlungen haben im Rahmen der Vereinten Nationen keine Reduktion der globalen CO2-Emissionen bewirkt. Außerparlamentarisch und horizontal organisierte soziale Bewegungen erhöhen daher den Druck auf Regierungen, das Ende der auf fossilen Brennstoffen basierenden Ökonomie und die Umstellung auf eine CO2-neutrale Gesellschaft einzuläuten. So haben die Besetzungen der Braunkohleabbaustätten in Deutschland zentral dazu beigetragen, dass die Bundesregierung den Ausstieg aus der Kohle beschlossen hat (auch wenn 2038 als Ausstiegstermin viel zu spät ist). Ohne den jahrelangen Druck indigener Aktivist_innen hätte US-Präsident Joe Biden die Genehmigung für die Keystone XL Teersande-Ölpipeline wohl nie widerrufen.

“Overground Resistance”, frei_raum Q21 exhibition space, Vienna, 2021. Photo: Pablo Chiereghin

Während historischer Widerstand zumeist „underground“ von Partisan_innen oder außerparlamentarischen Gruppen organisiert wurde, findet Klimaaktivismus im Gegensatz dazu in großem Rahmen „overground“ statt – auch wenn dabei oft die Grenzen dessen, was als legal definiert wird, überschritten werden. Die globale Bandbreite und die Sichtbarkeit der Bewegung zeigen das erschreckende globale Ausmaß der Bedrohung sowie die beispiellose gesellschaftliche Breite der kollektiven Entschlossenheit, ihr entgegenzuwirken.

“Overground Resistance”, frei_raum Q21 exhibition space, Vienna, 2021. Photo: Pablo Chiereghin

Die Klimagerechtigkeitsbewegungen sehen sich mit einer Krise konfrontiert, die unlösbar mit den rassistischen, sexistischen, kolonialen und autoritären Fundamenten der heutigen Gesellschaft zusammenhängt. Daher liegt die Zukunft der Bewegungen in bereichsübergreifenden Ansätzen und einem Aufbrechen des ausschließlichen Zugangs auf die Umweltpolitik, dem „merely environmental“, wie Nancy Fraser es nannte. „Um dem vollen Ausmaß unserer Krise weitreichend begegnen zu können“, schreibt Fraser, muss die Bewegung „ihre ökologische Diagnose mit anderen zentralen Anliegen verbinden – wie etwa prekäre Lebensumstände und verweigerte Arbeitnehmer_innenrechte; Kürzungen der öffentlichen Gelder für gesellschaftliche Reproduktion und andauernde Unterbewertung von Pflegearbeit; Ethnisch-rassisch-imperialistische Unterdrückung und auf Geschlecht und Sex begründete Herrschaft; Enteignung, Vertreibung und Ausgrenzung von Migrant_innen; Militarisierung, autoritäre Regierungssysteme und Polizeigewalt. Diese Anliegen sind eng mit dem Klimawandel verwoben und werden durch ihn verschärft“. (1)

“Overground Resistance”, frei_raum Q21 exhibition space, Vienna, 2021. Photo: Pablo Chiereghin

Millionen von Menschen, die den völligen planetaren Klimakollaps verhindern und die Erde auch für die kommenden Generationen als Lebensraum erhalten möchten, werden in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Das gilt auch für zahlreiche Künstler_innen.

In den letzten Jahren war vermehrt zu beobachten, dass Künstler_innen den Klimawandel nicht mehr nur zum Thema ihrer künstlerischen Arbeiten machen.

Die Ausstellung versammelt Künstler_innen, die ihre Arbeiten im Dialog mit der Klimagerechtigkeitsbewegung entwickeln, und sich als Teil dieser Bewegungen begreifen. Dabei zeigt sich eine bemerkenswerte Vielfalt unterschiedlicher Strategien und Ansätze:

“Overground Resistance”, frei_raum Q21 exhibition space, Vienna, 2021. Photo: Pablo Chiereghin

Es gibt Künstler_innen, die an taktischen Werkzeugen arbeiten, die bei öffentlichen Aktionen zum Einsatz kommen. Dazu gehören die aufblasbaren Kuben von Tools for Action, die Aktivist_innen zugleich sichtbar machen und die sie bei Konfrontationen mit der Polizei als physische Barriere einsetzen können.

Jay Jordan und Isabelle Frémeaux vom Laboratory of Insurrectionary Imagination organisierten während des COP21 in Paris im Dezember 2015 die „Climate Games“. Sie entwickelten damit zentrale Aktionsformen und prägten maßgeblich das Erscheinungsbild der Klimagerechtigkeitsbewegung. In einem in der Ausstellung gezeigten Film (2) beschreibt Jay Jordan die Rolle von Künstler_innen, sich in die sozialen Bewegungen zu involvieren und diese als Material zu begreifen. In dieser Praxis lösen sich die Grenzen zwischen Kunst und Aktivismus komplett auf.

Jordan und Frémeaux leben auf einer aus dem Widerstand gegen einen geplanten Flughafen entstandenen autonomen Region namensZAD in der Nähe von Nantes in Frankreich. Dieser bildet den Ausgangspunkt des in der Ausstellung gezeigten Films „Notre Flamme Des Landes: The Illegal Lighthouse Against an Airport and Its World“ (2018).

The Natural History Museum ist ein mobiles Pop-up-Museum, das 2014 vom Kollektiv Not An Alternative gegründet wurde. Es konzipiert eigenständige Kampagnen, die oft in Zusammenarbeit mit indigenen Protagonist_innen oder mit unterrepräsentierten Communities umgesetzt werden. Dabei fokussiert es unter anderem darauf, wie das Sponsoring der Erdölindustrie beeinflusst, was und wie in Museen gezeigt und was komplett ausgeschlossen wird. In der Ausstellung sind zwei Videos von The Natural History Museum zu sehen, die das Houston Museum of Natural Sciences und dessen Sponsor_innen unter die Lupe nehmen.

Für jede soziale Bewegung sind natürlich auch Künstler_innen wichtig, die Plakate oder andere künstlerische Artefakte produzieren. Der Lakota Nation Künstler Gilbert Kills Pretty Enemy III brachte eine Vielzahl von Postern hervor, die die Proteste der indigenen Wasserbeschützer_innen gegen eine Pipeline in Standing Rock in North Dakota begleiteten. Der britische Künstler Noel Douglas realisiert seit Jahren politische Plakate, die wie das in der Ausstellung gezeigte „No Breathing Space“ (2020) durchaus auch ohne Genehmigungen in öffentlichen Werbeleuchtkästen in London auftauchen können.

Tiago de Aragão schafft als Mitstreiter an den Kämpfen indigener Communities in Brasilien gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen künstlerisch hochwertige Filme wie „Entre Parentes“ (2018) über das indigene Protestcamp „Acampamento Terra Livre“ in Brasilia.

Der Mapuche Filmemacher Francisco Huichaqueo befasst sich mit dem Krieg gegen indigene Völker im Süden Chiles, die Pinochets neoliberales Experiment als Weiterführung der im 16. Jahrhundert begonnenen Kolonialbesetzung und der brutalen Völkermorde erleben. In dem Experimentalfilm Mencer: Ñi Pewma (2011) kommt das Übernatürliche im Symbolismus der Mapuche gegen die monokulturellen Kiefer- und Eukalyptusplantagen zum Einsatz.

Aka Niviâna und Kathy Jetn̄il-Kijiner zeigen in ihrem Film„Rise: From One Island to Another“ (2018) die Abhängigkeiten ihrer Wohnorte Grönland und die Marshall Islands voneinander, die von der Realität schmelzender Eismassen und dem daraus resultierenden steigenden Meeresspiegel geprägt sind.

Rachel Schragis ist nicht nur eine zentrale Stadtteilorganisatorin und Klimaaktivismuskoordinatorin in Brooklyn, sondern ihr gelang es auch, die durch ihre Tätigkeit gewonnenen Einblicke in ihrem großformatigen Ablaufdiagramm „Confronting the Climate“(2016) zu übersetzen, welches aus ihrer organisatorischen Tätigkeit für den „People‘s Climate March“ in New York 2014 resultiert.

Lauren Bon and the Metabolic Studio kreieren mit ihrem provokativen Textbild „Artists Need to Create on the Same Scale That Society Has the Capacity to Destroy” eine Aufforderung, die keinen Zweifel daran lässt, dass es in dieser Ausstellung nie um reine Abbildung oder Dokumentation geht, sondern um die Herstellung von Beziehungen zu sozialen Bewegungen, in die sich Künstler_innen und Kulturproduzent_innen aktiv einbringen.

Die „Climate Propagandas, Video Study“ (2020) von Jonas Staal zeigt, wie die Klimakrise in vier verschiedenen ideologischen Diskursen interpretiert und als Waffe eingesetzt wird: in der liberalen, der libertären, der verschwörungstheoretischen und der ökofaschistischen Propaganda. Ihre Verbreitung und ihr Einfluss verdeutlichen, wie wichtig es ist, den Kampf für generationsübergreifende Klimagerechtigkeit durch globale Umverteilung, koloniale Restitution und den Aufbau von solidarischen Ökosystemen zwischen menschlichen und anders-als-menschlichen Proletarier_innen zu intensivieren. Dieser Kampf artikuliert in Staals Worten eine „tiefgreifende zukünftige Klimapropaganda“.

All diese basieren auf höchst problematischen Annahmen. Das betont die Notwendigkeit der Intensivierung des Kampfes für Klimagerechtigkeit, der globale Umverteilung und demokratische Transformation beinhaltet.

Im Kontext der Ausstellung verweisen Sedays Malereien auf Schaufenstern von Banken auf die Finanzquellen des von fossilen Brennstoffen angetriebenen Klimanotstands. Der anonym agierende Künstler hat in den letzten sechs Jahren über 100 französische Banken mit seinen Lackfarben beschädigt, indem er Jackson Pollocks All-over Stil imitierte und damit eine symbolische Spur auf den Finanzinstitutionen hinterließ.

Exhibition tour with Zapatistas, “Overground Resistance”, frei_raum Q21 exhibition space, Vienna, 2021. Photo: eSeL.at – Lorenz Seidler

A number of exhibitions within the last few years have addressed climate breakdown. Most, as in the case of the 2020 Taipei Biennial curated by Bruno Latour In den letzten Jahren gab es einige Ausstellungen, die sich mit dem Klimakollaps auseinandersetzen. Die meisten, wie die von Bruno Latour und Martin Guinard kuratierte Taipei Biennial 2020, setzen auf ästhetische Erfahrung und lassen aktivistische Strategien außen vor (3). “Overground Resistance” scheint hingegen die weltweit erste Kunstausstellung zu sein, die den Fokus auf Klimaaktivismus verlegt.

The exhibition cycle “Overground Resistance” by contrast, appears to be the first art exhibition worldwide to focus directly on climate activism.

Exhibition tour with Zapatistas, “Overground Resistance”, frei_raum Q21 exhibition space, Vienna, 2021. Photo: eSeL.at – Lorenz Seidler

(1) Nancy Fraser, Climates of Capital, New Left Review 127, January–February 2021
(2) Oliver Ressler, Barricade Cultures of the Future, 4K, 2021
(3) “Many of the works we gathered are not ‘activist’ in the sense that they don’t put as their first agenda a call to action, but rather propose a strong aesthetic experience.” Bruno Latour and Martin Guinard, cited in: Naomi Rea, “To Explore the Impact of Climate Change on Culture, the Curators of the Taipei Biennial Transformed Their Venue Into a Planetarium”, Artnet, December 2, 2020

“Overground Resistance”, frei_raum Q21 exhibition space, Vienna, 2021

Künstler_innen:
Tiago de Aragão (BR)
Lauren Bon and the Metabolic Studio (US)
Noel Douglas (UK)
Francisco Huichaqueo (Mapuche Nation/CL)
Gilbert Kills Pretty Enemy III (Hunkpapa Lakota of the Standing Rock Sioux Tribe/US)
Kathy Jetn̄il-Kijiner (Marshall Islands) & Aka Niviâna (Greenland)
Laboratory of Insurrectionary Imagination (FR)
The Natural History Museum (US)
Oliver Ressler (AT)
Rachel Schragis (US)
Seday (FR)
Jonas Staal (NL)
Tools for Action (HU/NL)

“Flood Tide of Resistance”, NeMe Arts Centre, Limassol (CY), 2022

Künstler_innen:
Tiago de Aragão (BR)
Lauren Bon and the Metabolic Studio (US)
Noel Douglas (UK)
Francisco Huichaqueo (Mapuche Nation/CL)
Gilbert Kills Pretty Enemy III (Hunkpapa Lakota of the Standing Rock Sioux Tribe/US)
Kathy Jetn̄il-Kijiner (Marshall Islands) & Aka Niviâna (Greenland)
Laboratory of Insurrectionary Imagination (FR)
The Natural History Museum (US)
Oliver Ressler (AT)
Enar de Dios Rodríguez (ES)
Theo Prodromidis (GR)
Rachel Schragis (US)
Seday (FR)
Jonas Staal (NL)
Tools for Action (HU/NL)
No Grandi Navi (IT)

“Overground Resistance. Resistencias a la luz del sol”, CAC Centro de Arte Contemporáneo de Quito, Quito (EC), 2022

Künstler_innen:
Tiago de Aragão (BR)
Arts for the Commons – A4C (IT/EC)
Lauren Bon and the Metabolic Studio (US)
Noel Douglas (UK)
Francisco Huichaqueo (Mapuche Nation/CL)
Gilbert Kills Pretty Enemy III (Hunkpapa Lakota of the Standing Rock Sioux Tribe/US)
Kathy Jetn̄il-Kijiner (Marshall Islands) & Aka Niviâna (Greenland)
Laboratory of Insurrectionary Imagination (FR)
Boloh Miranda Izquierdo (EC) & Sofia Acosta Varea (EC)
The Natural History Museum (US)
Oliver Ressler (AT)
Rachel Schragis (US)
Seday (FR)
Jonas Staal (NL) Tools for Action (HU/NL)