New Model Army

Stellvertreter-Aktivist_innen von Oliver Ressler

2016/2017

Die Menschheit steht am Rande der globalen ökologischen Katastrophe. Die Daten des Copernicus Climate Change Service zeigen, dass die Temperatur auf der Erde 2016 sich den 1,5 Grad Celsius Erwärmung seit den vorindustriellen Zeiten annähert. Viele Wissenschaftler_innen betrachten diesen Schwellenwert als die „rote Linie“, bei deren Überschreitung die Erderwärmung außer Kontrolle gerät.

Das Überleben der Menschheit ist in Gefahr, doch bleibt seltsamerweise der öffentliche Aufschrei und die Forderung nach sofortigem Handeln aus, zumindest was offizielle Stimmen aus Politik und Medien betrifft. In der Zwischenzeit hat sich eine neue soziale Bewegung formiert, die Klimabewegung, in Reaktion auf die Weigerung tonangebender Staaten, CO2 Emissionen zu reduzieren und die Bedrohung einer nicht mehr rückgängig zu machenden Zerstörung ernst zu nehmen. Diese Bewegung ist größer und geeinter als es scheint, denn Beobachter_innen sehen nur von einander getrennte Berichte von Interventionen, die mediale Aufmerksamkeit „verdienen“, im Gegensatz zu dem unermüdlichen Einsatz und Druck, den Aktivist_innen weltweit ausüben. Die Bewegung hat nicht die Absicht, mit der Rohstoffindustrie zu verhandeln oder ihr „Zugeständnisse“ abzuverlangen. Sie wird sich auch nicht mit Greenwashing-Berufen, Gewinnbeteiligungen, einer zu spät kommenden Einhaltung von Sicherheitsvorschriften oder mit Emissionsausgleichs-Programmen, die das schlechte Gewissen beruhigen sollen, kaufen lassen. Sie sagt einfach „NEIN“.

“New Model Army”, stand-in activists. Installation view: “How to Occupy a Shipwreck” (solo show), Kunst Haus Wien, Vienna, 2018
“New Model Army”, stand-in activists. Installation view: “How to Occupy a Shipwreck” (solo show), Kunst Haus Wien, Vienna, 2018
“New Model Army”, stand-in activists. Installation view: “How to Occupy a Shipwreck” (solo show), Kunst Haus Wien, Vienna, 2018

Die „New Model Army“ bricht das öffentliche Schweigen und bringt die ansonsten unsichtbaren Protagonist_innen der Klimabewegung in Form lebensgroßer Modelle in die Ausstellungsräume. Die Puppen stehen stellvertretend für jene Aktivist_innen, deren ziviler Ungehorsam sicherstellt, dass kein die Umwelt plünderndes Unternehmen seiner Sache sicher sein kann, so sehr es die Aktionäre auch als Routine betrachten mögen. Die Modelle sind jedoch keine perfekten Schablonen oder Musterbeispiele: sie sind real, aber noch nicht real genug; sie sind Behältnisse eines sich noch zu entwickelnden Geists. Sie sind stellvertretende, sichtbare Zeichen für die zu wenig wahrgenommenen Aktivitäten der Klimabewegung allerorts. Die umgestalteten Modelle halten Schilder mit schlagzeilenartigen Slogans, welche die 1,5 Grad Schwellenwert-Überschreitung thematisieren, beispielsweise „BLOODY RED LINES: CARBON UNCHAINED“ und „400 CARBON PARTICLES – RED LINE CUTS GLOBAL THROAT”.

“New Model Army”, stand-in activists, 2016. Installation view: “Property is Theft” (solo show), MNAC – National Museum of Contemporary Art, Bucharest, 2016
“New Model Army”, stand-in activists, 2016. Installation view: “Property is Theft” (solo show), MNAC – National Museum of Contemporary Art, Bucharest, 2016

Eine Schaufensterpuppe stellt das Double eines Ende Gelände Aktivisten dar – einer von tausenden, die Europas schmutzigstes Kohlekraftwerk außer Betrieb gesetzt haben und einer von tausenden, die überall versuchen, CO2-geschwängerte Wirtschaftspläne zu verhindern. Die Puppe ganz in Rot steht für eine der Maximen der Klimabewegung: „BE THE RED LINE“. Wenn schon Institutionen den Unterschied zwischen Leben und dem Tod des Planeten ignorieren, dann sind wir die einzigen, die das Überschreiten der Linie verhindern können. Der dritte Klima-Kämpfer scheint dafür gerüstet zu sein, sich gegen Polizeigewalt verteidigen zu können. Nicht darauf aus, einen Kampf heraufzubeschwören, aber auch nicht darauf, sich den bewaffneten Reihen der Überfallkommandos in den besetzten Straßen zu beugen.

Die ersten beiden Figuren der „New Model Army“ wurden in Oliver Resslers Einzelausstellung „Property is Theft“ (2016) im MNAC – National Museum of Contemporary Art in Bukarest gezeigt. Weitere tauchten in der Ausstellung „The Extractive Machine – Neo-colonialisms and Environmental Resources“ im PAV (Parco Arte Vivente) in Turin auf. Sie umgeben die Videoinstallation „Everything´s coming together while everything´s falling apart“ als eine Art stumme Gefolgschaft; zukünftig werden sie auch getrennt davon erscheinen. Gerüchten zufolge wird diese Armee im Laufe der Zeit wachsen.

“New Model Army”, stand-in activists. Installation view: “Scharfstellen_1”, < rotor >, Graz, 2017

Anmerkung zur Begrifflichkeit:
New Model Army (Armee nach neuem Muster)
Benannt nach dem organisierten „Mob“, der den Englischen Bürgerkrieg der 1640er Jahre gewonnen hat: die „dissidenten untergebenen Personen“ mit einem gefährlich demokratischen Kriegsrat, der „gemeinsamen Erbauung“ und einem Netzwerk von „Agitatoren“ (hier als Begriff erstmals erwähnt) lehrten ihren eigenen Kommandanten das Fürchten und wurden von diesen innerhalb von ein paar Jahren zerschlagen. Diese bewaffnete Gruppe von Leuten, die „erst Mistwägen beladen haben… bevor sie Hauptmänner wurden“, sicherten das kollektive Überleben, während die blutsaugende Klasse (bzw. „0.1%“) der damaligen Zeit drohte, das Land ausbluten zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt griffen die spießigen Besitzenden, die am meisten vom siegreichen Ausgang profitiert hatten, die Agitatoren und Levellers (eine frühdemokratische, politische Bewegung in England) an und schlugen den erfolgreichen „Mob“ nieder, indem sie ihn dazu brachten, sich selbst zu bekämpfen. Überlebende erhielten jedoch die Erlaubnis, sich in Irland anzusiedeln und irische Grundbesitzer mit Waffengewalt zu enteignen. 350 Jahre der Unterdrückung, Tendenz steigend. Passiert der Klima-„Armee“ dasselbe, bleibt nicht so viel Zeit.

Dank an Matthew Hyland für seine Co-Autorenschaft